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Sonntag, 1.4. 2007, 16h, DemoZ Ludwigsburg
100 Jahre nach ihrer Begründung gilt die Psychoanalyse immer noch als leicht abseitig. Gerade das jüngste Brimborium zu Freuds 150. Geburtstag, in dem dieser von ‘Spiegel’, ‘Stern’ & co. als Vordenker ausgerechnet der Gehirnforschung gewürdigt wurde, macht deutlich, wie wenig die bürgerliche Gesellschaft mit dessen Erkenntnissen tatsächlich anfangen kann. Wo sie eine Wissenschaft namens »Psychoanalyse« in den Wissenschaftsbetrieb integriert, da berufen sich deren Vertreter/innen nur aus Sentimentalität auf den Namen des Gründervaters, während dessen Befunde schon längst als überholt revidiert worden sind. Auf der Linken wiederum fasst man, nach dem Verfall des Freudo-Marxismus der 70er Jahre, die psychoanalytischen Begriffe nur mehr mit spitzen Fingern an. Wer zu »Trieb« nicht ohnehin Biologismus assoziiert, der oder die spätestens zu »Ödipus« Männerwahn und, frei nach Deleuze und Guattari, ‘Familialismus’. Mag es den einen zu intim erscheinen und den anderen zu abstrakt: Gemeinsam ist ihnen allen der Verdacht, die Psychoanalyse lenke im wesentlichen vom Wesentlichen – der Klasse, dem Geschlecht, dem Diskurs – ab und arbeite stattdessen an einer Reparaturanstalt für bürgerliche Existenzen.
Nun ist kaum zu bestreiten, dass genügend psychoanalytische Schulen und Praktiken diesem Generalverdacht stets wieder neue Nahrung zu verschaffen vermocht haben; und dass auch manche der Freudschen Thesen, etwa übers weibliche Geschlecht, kaum dem state of the art einer herrschaftskritischen Theorie des 21. Jahrhunderts genügen. Wäre das allerdings alles, würde sich die Aufregung wohl kaum lohnen, welche die Gegnerinnen und Gegner der Psychoanalyse in schöner Regelmäßigkeit befällt, wenn von ihr die Rede ist. Und genau um das, was an der Freudschen Theorie – im wahrsten Sinne des Wortes – treffend ist, ihrem kritischen Überschuss, soll es auf diesem NN gehen.
Dieser besteht weniger in abgeschlossenen Definitionen, einfach anwendbaren Konzepten oder irgendwelchen Letztbegründungen, sondern im besonderen Verhältnis der Psychoanalyse zu ihrem Gegenstand. Als Grenzwissenschaft ist sie zwischen Körper und Seele, damit aber auch zwischen Natur und Gesellschaft situiert; und genau dort, wo für den einzelnen kaum zu differenzieren ist, wo die Zwänge der Natur enden und die der Gesellschaft beginnen, kann sich Herrschaft am tiefsten einsenken. »Für die soziale Realität ist in der Epoche der Konzentrationslager Kastration charakteristischer als Konkurrenz«, schreibt Adorno. Gerade in jenem ungesellschaftlichen Lebensabschnitt der Kindheit, der von absoluter Machtlosigkeit gekennzeichnet ist, liegt der Körper offen, wie eine Wunde, zutage; und jene schmerzvollen, traumatischen Einschnitte, welche ihn formen (und dabei vom polymorph-perversen Triebbündel wenig mehr übrig lassen als ein autonomes Individuum mit vereinzelten erogenen Zonen), erschienen rückblickend als Urbilder herrschaftlicher Gewalt.
Das Verhältnis der Psychoanalyse zu ihrem Gegenstand erfordert aber zugleich auch einen ganz eigenen Zugang zu erkenntnistheoretischen Fragestellungen; einen, der, gut materialistisch, jede Unterscheidung zwischen Einsicht und Methode, Theorie und Therapie verunmöglicht. Ihr Thema, das Unbewusste, ist, wie der Name sagt, nun einmal nicht bewusstseinsfähig; es zeigt sein wahres Gesicht bloß entstellt, projektiv verschoben oder zum Symptom verdichtet. Insofern ist Psychoanalyse von allem Anfang an Übersetzungskunst; und damit dem Trieb, auf dessen Spuren sie wandelt, nächstverwandt. Insbesondere der Freudsche Begriff der ‘Nachträglichkeit’ formuliert, wie zu zeigen sein wird, eine Erfahrung, die über die altehrwürdigen Aporien bürgerlicher Philosophie hinausweist: Er stellt den idealistischen Wahn vom autonomen, transparent handelnden Individuum in Frage, ohne in die komplementäre Ideologie eines mechanistischen Determinismus umzuschlagen. Mehr noch: Indem sie sich dem Fremden am Grunde des Eigenen zuwendet, ohne es anzubeten oder zu unterjochen, sondern durch Anschmiegung sich anzuverwandeln sucht, bezeichnet die Psychoanalyse zugleich mit der Kritik des bürgerlichen Subjekts eine Utopie von Erkenntnis.
Auf dem NN werden einige zentrale Konzepte der Freudsche Theorie dargestellt werden – nicht im Hinblick auf Vollständigkeit, sondern als kritische Modelle im Sinne der oben genannten Fragen. Vorbereitende Lektüre ist nicht vonnöten. Wer aber gerne im Vorfeld etwas lesen möchte, dem oder der sei empfohlen:
- Schneider, Peter: »Wahrheit und Verdrängung. Eine Einführung in die Psychoanalyse und die Eigenart ihrer Erkenntnis«, Berlin: Ed. Tiamat 1995 (laut Referent das beste Buch zum Thema)
- Freud, Sigmund: »Die Traumdeutung«: Kapitel II: »Die Analyse eines Traummusters«, Studienausgabe Bd. 2, S. 126-140 (Traum und Deutung von ‘Irmas Injektion’)
- Freud, Sigmund: »Aus der Geschichte einer infantilen Neurose«, StA Bd. 7 (die ‘Wolfsmann-Analyse’, mit ausführlichen Erörterungen zur Frage der ‘Urszene’ und der ‘nachträglichen Verursachung’)
- Quadfasel, Lars: »Über das höchst sonderbare und gar merkwürdige Gerücht von der radikalen Psychoanalysekritik Judith Butlers«, Gigi Nr. 143 / 2005 (zur Kritik an der Domestizierung der Psychoanalyse durch Judith Butler; für die, die gerne was vom Referenten lesen) Weblink zum Volltext