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“Ich will Rausch und Revolution!”
- Peter Chr. Zwi -
Ohne große Gefahr, sich zu irren, können dessen Kritiker behaupten, daß der und die Poplinke in der “hedonist international” (1) nach dem Polizisten und dem Priester das am weitesten verachtete Wesen ist. Wenn auch die Gründe für seine Verachtung oft falsche sind, die aus der herrschenden Ideologie stammen, sind die Gründe dafür, dass er vom Standpunkt der revolutionären Kritik aus wirklich verachtungswürdig ist und verachtet wird, verdrängt und uneingestanden.
So geschichtsträchtig rumpelnd möchte man in den Text einsteigen, dessen Erstellung durch die voranschreitenden Ereignisse den Kritiker_innen der poplinken Vereinnahmung des Hedonismus nun in ungeahnter Dringlichkeit aufgezwungen ist. Die Gründung dieser sogenannten hedonistischen Internationalen, und ihre ideologische Zementierung in ihrem Manifest (2) haben die wissenschaftliche Arbeit am Hedonismus von Epikur über Marx bis Debord mit einem Schlag in die am weitesten entfernte Region der Wahrnehmung verdrängt und an deren Stelle den Jargon der NSB mit einem offen eingestandenen Spektakel der Kritik, statt einer Spektakelkritik, gesetzt: “Und weil wir die besseren Ideen, die schöneren Träume haben als diese Veranstaltung, wäre es doch wunderbar diesem Spektakel ein anderes entgegen zu setzen.” (3)
Nicht, dass die Ideen und Konzepte der Hedonistischen Internationalen besonders originell oder gar interessant wären. Nein, warum dazu etwas geschrieben wird, liegt allein daran, dass deren Protagonisten alte Fehler als neue Wahrheiten verpacken, ihre Ideologie ist also das alte Falsche in seiner aktuellsten Form. So geht es den Poplinken dann auch augenscheinlich nicht um den Hedonismus sondern ganz banal um das, worum es allen Linksdeutschen zur Zeit zu gehen scheint: G8-Gipfel in Heiligendamm und diesen möchte man “wegtanzen, wegbassen, die Show stehlen”.
Doch um sich der Verkommenheit und der Anmaßung jener sogenannten “hedonist international” zu nähern, lohnt ein Blick auf ihr begriffliches Werkzeug. Das ist auch explizit nicht von prozesshaftem Charakter, nein es ist in Form eines Manifests in endgültige, starre Formen gegossen, 13 Punkte umfassend. Hierbei fühlt man sich spontan an die Gruppe Spur mit Nationalsituationist und späterem militantem Antisemit Kunzelmann als Theoretiker erinnert, deren “Gaudi-Manifest” (4) von 1961 es aber immerhin auf 20 Punke brachte und auch nicht ganz so hohl war. Vielmehr brachte das Gaudi-Manifest, betrachtet man es im historischen Kontext, ein paar druchaus erfrischende und auch lustige Momente in die Positionsbestimmung. Es verströmt noch trotz seiner Verkehrtheit einen Hauch von Neuem, Abenteuerlichkeit und auch Witz. Das sind Kategorien, die dem Manifest dieser hedonistischen Internationalen total abgehen.
Der Leser_in wäre nicht damit gedient hier die einzelnen Punkte des Manifests abzuarbeiten, dazu haben sie großteils zu wenig Substanz. Kein einziger der Begriffe in diesem Manifest wird definiert oder auch nur ansatzweise gefasst, also muss man aus der Verwendung der großen Begrifflichkeiten wie “Freiheit”, “Lust”, “Genuß” auf den Alltagsgebrauch dieser Begriffe schließen. Dass die Alltagssprache nicht die Sprache der Kritik ist, und auch unter den gegebenen gesellschaftlichen Umständen nie sein kann, setzen die Kritiker_innen als bekannt voraus.
Freiheit von oder Freiheit zu?
Dieser, gerade in bauchlinken Zusammenhängen, gerne gebrauchte Begriff ist als für sich stehende Kategorie völlig unbrauchbar. Geht es hierbei um die Massen dieser Welt die frei von den Möglichkeiten sich am Leben zu erhalten sind, oder vielmehr um die Freiheit des Metropolenbewohners in sogenannten Freiräumen seinen “Rave” zu veranstalten? Diese Problematik wird dort nicht mal angerissen. Die viermalige Verwendung des Begriffs macht seinen Umriss nicht klarer, verdeckt ihn eher als ihn zu klären.
Lust an oder Lust auf?
Ganz ähnlich verhält es sich mit der Lust, für den Hedonismus (hedone, altgr.: Lust, Freude) eine eigentlich zentrale Angelegenheit. Die Verwendung lässt einen jedoch im Dunklen darüber, ob hier einerseits die Fassung des Begriffs über Bedürfnisse gemeint ist, im Sinne einer Lust auf etwas, oder die sinnliche Erfahrung im Kontinuum zwischen Lust und Unlust, die jedes Handeln mit sich bringt. Dass diese Kategorie zu allem Übel dann auch noch unabgegrenzt neben der “Freude” steht, trägt zur weiteren Verwirrung bei. Die Kategorie der Lust funktioniert im Zusammenhang mit dem Hedonismus nicht ohne einen Begriff von Bedürfnis, da die Lust diesem nachgeordnet, als Effekt der Befriedigung von Bedürfnissen steht. Im Sinne der Lust an etwas.
Genuß
Wie wenig dieser pseudoradikale, werbetextaffine Linksrave mit kommunistischer Kritik am Hut hat, macht auch die zweimalige, ungebrochene Verwendung dieses Begriffes deutlich, denn so Marx “Der Zusammenhang des Genießens der Individuen jeder Zeit mit den Klassenverhältnissen und den sie erzeugenden Produktions- und Verkehrsbedingungen, in denen sie leben, die Borniertheit des bisherigen, außer dem wirklichen Lebensinhalt der Individuen und zu ihm in Gegensatz stehenden Genießens, der Zusammenhang jeder Philosophie des Genießens mit dem ihr vorliegenden wirklichen Genießen und die Heuchelei einer solchen Philosophie, die sich an alle Individuen ohne Unterschied richtet, konnte natürlich erst aufgedeckt werden, als die Produktions- und Verkehrsbedingungen der bisherigen Welt kritisiert werden konnten, d.h. als der Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat kommunistische und sozialistische Anschauungen erzeugt hatte. Damit war aller Moral, sei sie Moral der Askese oder des Genusses, der Stab gebrochen.” (5)
Im hedonistischen Manifest dagegen wird die Schwierigkeit der Entwicklung einer gesellschaftlichen Kategorie des Hedonismus, als eine für alle verwirklichte Möglichkeit, zugunsten der Propagierung von willkürlich gesetzten genußvollen Tätigkeiten und Erfahrungen aufgegeben. Unter den gesellschaftlichen Bedingung, unter denen wir alle hier unsere Existenz fristen müssen, ist die Propagierung solcherlei nur Heuchelei und Ideologie. Dem wäre ein negativer Hedonismus, also das aktive erforschen, erkennen und bekämpfen der Unlustmomente, der Verstümmelung der menschlichen Bedürfnisstruktur und des Möglichkeitsraums des Gattungswesens durch die Notwendigkeiten des Kapitals, als eine gesellschaftliche Perspektive entgegen zu stellen.
Politik
Aber mit der schnöden Theorie hat man bei der “hedonist international” damit dann schon abgeschlossen, jetzt kann es also an die griffige Praxis gehen. Hierbei sei die “Hedonistische Internationale” davon überzeugt, “dass Politik und Aktion Spaß machen können.” Diese ausdrücklich in der Möglichkeitsform gehaltene Äußerung lässt einen tiefen Einblick in die instrumentalisierte Vorstellung, die diese Internationale von ihrem Hedonismus hat. Politik und Aktion sind ein Begriffspaar, das durch die Trennung in dieser Gegenüberstellung völlig zweckfrei und somit substanzlos ist. Vielmehr gilt es dagegen zu betonen, dass Theoriepraxis und Praxistheorie so einzurichten sind, dass sie einem die Möglichkeiten zum sinnlichen Genießen nach den individuellen Maßstäben überhaupt erst ermöglichen.
Arbeit
Aber mit sprachlichen Unsinnigkeiten geht es weiter, so ist man “überzeugt davon in einer Welt leben zu wollen”. Das ist schön, wenn man von seinem eigenen Wollen überzeugt ist. Das zeigt zumindest, dass man sich auf sich selber verlassen kann, sofern man Schopenhauers Wort ausblendet, dass man zwar tun kann, was man will, aber nicht wollen kann, was man will oder die fundamentale Marxsche Erkenntnis ignoriert, dass „nicht das Bewußtsein […] das Leben [bestimmt], sondern das Leben bestimmt das Bewusstsein.“ Aber bei Marx heisst es noch weiter: “in der hochentwickelte Technologie der gesamten Menschheit ein Leben ohne Arbeitszwang und Ausbeutung, sondern in purer Hingebung an die Künste und die schönen Dinge ermöglicht.” Dass damit die grundsätzliche Problematik der Ausweitung des “Reichs der Freiheit” gegenüber dem “Reich der Notwendigkeit” (6) als gesamtgesellschaftliche Dimensionen auf “Arbeitszwang und Ausbeutung” sprachlich reduziert werden, und damit die Möglichkeit verschleiern, dass es immer gesellschaftlich notwendige Arbeit geben wird, die erledigt werden muss, dabei aber keinesfalls der geisttötenden Lohnarbeit ähneln muss, ist den internationalen Hedonisten keinen Gedanken wert. So zerrinnt auch dieser Äußerungsversuch im reinen Wunschdenken und in der Belanglosigkeit. Zudem wird der technologische Fortschritt alleine, sofern er weiterhin unter kapitalistischen Wertverwertungsinteressen stattfindet, die Menschheit in keinster Weise befreien. Dazu bedarf es immernoch der kollektiven revolutionären Praxis der größten gesellschaftlichen Produktivkraft: des Proletariats.
Grundsätzlicher Reformismus in der Praxistheorie
Da die “Hedonistische Internationale” einsieht, “dass auch kleine Annäherungen an die Ziele des Hedonismus eine Verbesserung der Ausgangslage bedeuten”, macht sie deutlich, dass sie keinen Begriff vom Hedonismus hat und mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auch keinen haben möchte. So kann der Hedonismus keine Ziele haben, da er seine eigene Verwirklichung ist. Der Hedonismus ist keine Haltung oder Kampfprogramm, schon gar nicht eine “Chance zur Überwindung des Bestehenden”. Genausowenig, und da hat die Hedonistische Internationale trotz allem recht, wie der Hedonismus “als Motor einer dumpfen, materialistischen Spaßgesellschaft” funktioniert. Hedonismus beschreibt vielmehr die Möglichkeit, die die totale gesellschaftliche Revolution bietet, indem sie die Sphärentrennung der wertverwertenden Gesellschaft und ihrer entmenschlichten Züge aufhebt und das Reich der Freiheit auf Kosten des Reichs der Notwendigkeit für die gesamte Menschheit ausweitet. Unter anderen Umständen verkommt er zur Ideologie des Genusses oder des Verzichts. Da aber eben der Hedonismus nur in der Überwindung des Kapitals, als gesellschaftlichem Verhältnis, seine Verwirklichung finden kann, geraten “kleine Annäherungen” zur Affirmation bzw. Modernisierung des Bestehenden, zumal, wenn diese nicht mal näher bestimmt werden können, da solcherlei Gerede mit Sicherheit in sozialdemokratische Politik der kleinen Schritte mündet. Dieser Unwillen zur Arbeit des Begriffs und der grundsätzliche Reformismus rührt maßgeblich daher, dass jener Hedonismus entweder zum Kampfmittel oder zum verschleiernden Schmuckwort von diesen Kreisen instrumentalisiert wird. So ist man auch immer wieder erstaunt, was alles mit dem Adjektiv “hedonistisch” ausgezeichnet werden kann, von der “Stadtentwicklung” bis hin zur “Fußballfront” (7).
Wie grundsätzlich regressiv und begriffslos-beliebig diese Internationale ist, tritt besonders plastisch zu Tage, betrachtet man den vorletzten Punkt dieses Manifests. Hier reihen sich dann erstmal emanzipatorisch belegte Begriffe wie “die Ideen Epikurs”, “Sinnlichkeit” und “Ausschweifung” neben den Vorboten der finsteren, dumpfen Gemeinschaftlichkeit wie “bunte Freude”, “Gerechtigkeit”, “Toleranz”, “Nachhaltigkeit” und “freien Zugang zu Information” aneinander. Als Ausdruck ihrer tiefen Verhaftung im Bestehenden, und dort auch noch der, in ihrer unverwirklichten Verfasstheit, armseligsten Sphäre der heutigen Gesellschaft, beziehen sie sich auf: die “Kunst”. Hierbei wird auch die Ausrichtung der Kampagne hin auf die allgemeine Bewegungshuberei im Zuge der G8-Mobilisierung deutlich.
Mitmachen, Dabeisein
“Weil der G8-Gipfel für alles steht, was schiefläuft, kommen auch alle möglichen Leute, die wollen, dass es anders läuft. Da kommen Anti-Walfang-Ökos und auch stramme Politfreaks, die das Lachen schon lange verlernt haben. Es kommen aber auch jede Menge nette Leute aus vielen Ländern dieser Welt, mit denen wir die paar Tage im Juni zu einem Festival des Protests machen können.” Es reicht also als Begründung für das Mitmachen am Protest, welches nur notdürftig als ein Dagegensein gegen den G8-Gipfel verbrämt wird, aus, dass “jede Menge” Leute kommen. Dass es dem Löwenanteil dieser Menge wohl um Probleme des Ackerbaus, den Besuch von Feldgottesdiensten oder auch das Verprügeltwerden von Spezialeinheiten der Deutschen Polizei, also um dezidiert antihedonistische Vorstellungen und Praxen gehen wird, interessiert unsere Berliner Tanzbärchen nicht wirklich. So möchte man dort auch nicht stören, die Menschen- und Lustfeindlichkeit der vielen Ansätze als Feinde erkennen, und dementsprechend behandeln, sondern man will sich als Hedonistische Internationale in den Protest “einbringen”. Und zwar mit diesen ganzen tollen und “hedonistischen” Aktionsformen, die man so zur Hand hat: “bunt und laut die Großdemo bereichern, danach einen Rave veranstalten, […] vielleicht ein paar Workshops anbieten”.
Anschließend kann man sich ja auf dem Protestcamp, beim Donnerbalkenscheißen mit Vertretern des “Anti-G8 Bündnis für eine revolutionäre Perspektive” und attac verbrüdern um der G8 auch anständig “die Show [zu] stehlen”. So funktionieren die Wege aus der Einsamkeit, zurück in den warmen Schoß der Protestgemeinschaft.
Langeweile
Durch die offensiv oberflächliche Verwendung angenehm klingender Begriffe, deren tiefere Bedeutung gar nicht erst ergründet werden soll, genauso wie durch den Zuschnitt auf die Protestbewegung ist diese Internationale und ihr Manifest vorallem eines, nämlich langweilig. All die abenteuerlichen Aspekte, die eine Beschäftigung mit der Thematik enthält, werden bewusst ausgeblendet: so findet keine Verständigung über den gesellschaftlichen Charakter von Genuss, von Bedürfnissen oder von Lust statt. Deren prozesshafte, und damit für Revolutionstheorie interessante, Form wird zu Gunsten eines völlig unsinnigen und unreflektierten Vitalismus ausgeblendet. Man muss nur alles fließen lassen, was der Körper will, deleuzeistisch, “es atmet, wärmt, ißt. Es scheißt, es fickt. Das Es …”, dann wird der (Ferien-)Kommunismus ganz von alleine kommen, oder der Kapitalismus besser werden. Diese Haltung ignoriert völlig, dass vorrangig die Gesellschaft, und also das Realitätsprinzip, die Bedürfnisstruktur des Menschen bedingen, eine emanzipative Entwicklung der Bedürfnistruktur also vor allen Dingen eine Veränderung der Vergesellschaftungsform mit sich bringen müsste.
Die geisttötende Langeweile ist Ausdruck der mangelnden inhaltlichen wie praktischen Substanz, auf die bemüht der hippe und freshe Lack des Hedonismus aufgepinselt wird, und das auch noch mit den Rezepten an denen vor ungefähr zehn Jahren schon einmal die Poplinken scheiterten und vor vierzig Jahren die Hippies, Yippies und Provos sich noch weniger lächerlich machten, als der heutige abgeschmackte laue Aufguß der “Hedonistischen Internationalen”. Wie wenig also ein Bewußtsein um die eigene (Praxistheorie-)Geschichte besteht, ist ein weiteres Indiz dafür, mit was man es bei dieser Internationalen zu tun hat: Ausgehend von der wichtigen Entdeckung der Situationistischen Internationalen, dass Langeweile konterrevolutionär ist, gilt es diese sich hedonistisch nennende Internationale als das zu brandmarken was sie ist, als langweilig und damit als eine Erscheinungsform der permanenten Konterrevolution. Und als eine solche ist diese Internationale und die darin organisierten sogenannten Hedonisten auch zu behandeln.
1) www.hedonist-international.org
2) http://hedonist-international.org/?q=de/manifest
3) http://hedonist-international.org/?q=de/wakeupcall
4) http://members.chello.nl/j.seegers1/doc_si/doc_spur1961-1.html
5) MEW 3, S. 403f. / http://www.mlwerke.de/me/me03/me03_380.htm#I_III_1_5_C
6) vgl. Heller, Agnes: Theorie der Bedürfnisse bei Marx. Hamburg 1980. S. 75ff
7) http://hedonist-international.org/?q=de/subhedonist