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Angesichts der dritten Auflage der Antifaschistischen Kehrwochen, diesmal unter dem Motto »Turn it down«, und einer damit verbundenen Veranstaltungsankündigung hier auf der Website des SZ, kam es zwischen einigen Assoziierten zu Diskussionen auf der Mailingliste bezüglich der inhaltlichen Ausrichtung der Kampagne. Wie bei einer solchen Kampagne üblich, findet der Betrachtende hierbei ein Bündnis verschiedener regionaler Antifa-Gruppen vor. Die für Bündnisse dieser Art üblichen Kompromisse führen wohl zu solchen Unvereinbarkeiten, dass aktuell im Web-Auftritt der Kampagne in der Rubrik »Lesestoff« Adornos Text »Erziehung nach Auschwitz« aus dem Jahr 1966 neben der Rede Georgi Dimitroffs vor dem EKKI »Arbeiterklasse gegen Faschismus« von 1935 steht. Eben diese Rede Dimitroffs transportiert laut der Kampagne »die “klassische” Analyse […], nach der “der Faschismus an der Macht (…) die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals” ist«. Für Adorno wäre dies Ausdruck einer verkürzten Kritik, die antisemitische Projektionen fördert. Dem dimitroffschen Diktum folgend, stellt sich auch das Faschismusbild dieser Kampagne dar, dem hier eine Analyse gewidmet werden soll. Diese Analyse stützt sich auf die einzige inhaltiche Schrift der Kehrwochen-Kampagne, die uns bis heute vorliegt, und aus den Zeiten der ersten Auflage der Kampagne stammt.
Es existiert zwar mittlerweile eine weitere Broschüre, welche inhaltlich aber keine Neuerungen aufweist und lediglich stärker auf die Lifestyle-Problematik zugeschnitten ist.
Das lokale, sich im ruhigen und zunehmend auch urbanisierteren Hinterland manifestierende öffentliche Auftreten von Neonazis ist ein Problem, dem die Kampagne der „Antifaschistischen Kehrwochen“ zu begegnen sucht. Wenngleich die Kampagne hierbei selektiv bleibt und etwa antisemitische Aufmärsche, wie anläßlich des jüngsten Libanonkrieges, ausklammert, obschon diese durchaus ein ähnlichen Bedrohungspotential aufweisen können, wie NPD-Aufmärsche, ist das Anliegen zunächst symphatisch.
Grob skizziert sieht das autonome Konzept des revolutionären Antifaschismus vor, den gesellschaftlichen Protest gegen die Übergriffe von Neonazis in einem linksradikalen antikapitalistischen Sinne zu kanalisieren. Das Verhältnis zu den Neonazis muss hier folglich immer auch ein taktisches sein, und es darf nicht weiter verwundern, wenn in der Konsequenz ein Naziaufmarsch als willkommener, die müde Linke aufrüttelnder Mobilisierunganlaß begrüßt wird oder man auf Flugblätter den euphorischen Slogan: „Kein Naziaufmarsch ohne uns!“ druckt. Der Frage, inwieweit die Argumentation in der Broschüre geprägt ist von einem derartigen “instrumentellem Antifaschismus” soll an dieser Stelle nicht nachgegangen werden. Die Kampagne geht jedenfalls über die Skizzierung und Sensibilisierung des konkreten Neonazi-Problems hinaus und versucht dieses in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext einzubinden und historisch abzuleiten. Unter dem Aspekt eines solchen revolutionären Antifaschismus erklären sich vielleicht auch Mängel in der Analyse der Bröschüre, wenn mit der Maßgabe und Zielsetzung traditioneller linker Faschismuskritik (der 30er Jahre) auch deren analytische Kategorien übernommen werden.
Faschismus und Nationalsozialismus
Die Verfasser_innen dieser Broschüre vermeiden es konsequent vom Nationalsozialismus als einem solchen zu sprechen. Stets ist die Rede vom Faschismus, sowohl als Bewegung als auch als Staatsform, während an selbiger Stelle ungebrochen von »(Neo-)Nazi(s)« zu lesen ist. Offenbar ist man sich unsicher in Hinsicht auf die Vorstellung, die man sich innerhalb der Kampagne vom Gegner macht. Bei einer Kampagne, die sich gegen ein Phänomen richtet, sollte dessen Analyse eigentlich die Grundlage zur Entwicklung von Taktiken bilden.
Die begriffliche Verwirrung ist nicht zuletzt programmatisch begründet. Vom Nationalsozialismus als Faschismus zu sprechen, impliziert gewisse Praemissen in der Analyse. Zum einen wird mit der Einreihung des Nationalsozialismus in die anderen europäischen Faschismen vom nicht unwesentlichen Spezifikum der deutschen Judenvernichtung abstrahiert. Zum anderen zeigte sich Dimitroff empört über das Nationalsozialistische Selbstverständnis als »Sozialisten« und nannte dies eine »Dreistigkeit«. Gemäß der Dimitroffschen Analyse ist der Faschismus »die Macht des Finanzkapitals selbst«, eine Art Verzweiflungsakt der Großbourgoisie, welche den zunehmenden gesellschaftlichen Widersprüchen nur mit Terror gegen das Proletariat und sogar das Kleinbürgertum zu begegnen weiß.
Die nationalsozialistischen Verbrechen können diesem Verständnis nach nur samt und sonders dem »Finanzkapital« zur Last gelegt werden, also ausgerechnet jenem Teil des Kapitals, dem schon der Nationalsozialismus selbst zumindest vorgab zu Leibe rücken zu wollen. Um die Rolle all der restlichen Deutschen im skizzierten Terrorregime der Großburgeousie auszumachen, lässt die Dimitroff’schen Analyse wenig Spielraum. Eine solche Analyse muss auch hysterisch auf die Anmaßung der Nationalsozialisten, sich Sozialisten zu nennen, reagieren, weil der Zusammenhang zwischen Nationalsozialismus und Kapitalismus offenbar als bruchloser gewertet wird. Die Argumentation wird notwendigerweise holprig, wenn die offenbare antikapitalistische Agitation von Nationalsozialisten, 1930 wie heute, nur als geschickte Verblendung im Auftrag des Großbürgertums betrachtet wird. Eine andere Antwort auf die Frage, warum sich Nationalsozialisten auch heute verstärkt der antikapitalistischen Slogans der Linken annehmen, kann von dieser Analyse ausgehend nicht gegeben werden, weil sie nicht einmal erwägen will, dass in der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft der Klassenantagonismus tatsächlich in dem, was in der Broschüre idealisiert »wirkliche Demokratie« genannt wird, seine negative Aufhebung gefunden haben könnte.
Demzufolge wird davon ausgegangen, dass der Faschismus -oder zumindest seine Anhänger- eine Ideologie vertreten würden, deren »Haupt-Stützen […] Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus« seien. Die Analyse des Faschismus ist somit eine dieser drei Gesichtspunkte, und jene behandelt die Kampagne in ihrer Broschüre dann auch - allerdings als offenbar voneinander isolierte Erscheinungen: Zuerst wird der Rassismus, dann der Nationalismus und dann der Antisemitismus diskutiert, um anschließend zum griffigen Teil überzugehen: »Wem nützt der Faschismus?« Zur kritischen Rekonstruktion soll nun dieser Weg nachvollzogen werden.
Subjekt Rassismus
Weil sich die Linke stets schwer tut mit der Kritik an unpersönlichen Verhältnissen, muss sie offensichtlich auch den Rassismus erst subjektivieren, um ihn kritisieren zu können (»Rassismus behauptet, dass Menschen nicht nur optisch […]«). Im Verständnis der Kampagne kann der Rassismus sich dann völlig selbstständig ausbreiten und die Massen erfassen. Konsequent müssen auch die Zusammenhänge gar zum eigenen gesellschaftlichen Agieren gekappt werden. Die gesellschaftiche Verfasstheit ist offenbar nicht für die Reproduktion des Rassismus verantwortlich; entgegen jeder ernsthaften Untersuchung und auch jedes linksradikalen (kommunistisch traut man sich in dem Zusammenhang kaum zu schreiben) Diskussionsergebnisses wird Rassismus ausschließlich als aggressiver Fremdenhass definiert. Nicht von ungefähr finden Phänomene wie kulturalistischer Rassismus (in in den Debatten um »Islamophobie« und den »Clash of Civilisations« immer deutlicher zum Vorschein kommend), positiver Rassismus oder »New Racism« (also die Einbeziehung komplexerer und abstrakterer Unterdrückungszusammenhänge) nicht einmal Erwähnung in dieser Analyse, deren zu Grunde liegende Dichotomie eine Einordnung der genannten Phänomene gar nicht erst zulässt.
Versuche über die Nation
Immerhin ist der Nationalismus im Weltbild der Antifaschisten kehrwöchischer Provinienz kein Subjekt sondern Ideologie - zumindest im ersten Satz werden sie kommunistischer Theorie in den Grundzügen noch gerecht. Doch dann kommt, ohne dass darauf Bezug genommen würde, eine Passage, die in einem antagonistischen Widerspruch zum verlinkten Text von Dimitroff steht: »Angeblich existieren Nationen, weil es verschiedene Völker gibt, die sich durch die nationalstaatlichen Grenzen voneinander trennen.« Hier sieht die Dimitroff-Doktrin, die im Gegensatz zu der Kampagne auch wissenschaftlich genug ist vom Nationalsozialismus zu sprechen, doch etwas völlig anderes vor:
So kannte die Konzeption des »Sozialismus in einem Land« durchaus Nationen, diese wurden zwar auch völkisch-kulturell aufgefasst, und in jeder für sich sollte der Sozialismus entwickelt und zur Blüte gebracht werden, bis in ferner Zukunft im Kommunismus die Weltgesellschaft eingeführt werde.
Über die gesellschaftliche Erscheinungsform des Nationalismus weiß man nicht mehr zu berichten, als dass er sich in der Position äußerte, »dass Menschen die nicht deutsch sind, z.B. kein Recht hätten hier zu leben«. Wenn es im soziologischen Teil so anfängt, dann ist abzusehen in welchen Niederungen man ankommt, sobald man sich der Historie zuwendet. »Angeblich existieren Nationen, weil es verschiedene Völker gibt, die sich durch die nationalstaatlichen Grenzen voneinander trennen. Tatsächlich ist es aber so, dass sich so etwas wie ein Volk mit relativ einheitlicher Sprache, Kultur etc. erst in aufgezwungenen Grenzen bildete, Grenzen also nicht Folge sondern Ursache einer ‘Nation’ o.ä. sind. So kann man da lesen, und »Gerade Deutschland war seither immer wieder eine Nation die anderen Länder überfiel und durch Kriege Millionen Menschen tötete. Seit Jahrunderten profitiert Deutschland von der Ausbeutung anderer Länder, zuerst durch die Kolonisation, später durch die Unterstützung von Diktaturen und der Ausbeutung der Menschen durch deutsche Firmen (von Daimler über BASF bis zu Siemens, mit Waffenlieferungen oder finanzieller Unterstützung von Diktatoren um dort gute ‘Investitionsbedingungen’ zu bekommen). Nationalismus ist also gerade hier fehl am Platz.« Zusammengefasst also etwa: Kulturen bilden sich anhand von aufgezwungenen Grenzen, und es gibt im Falle der Untersuchung des Gegenstandes Nation auf einmal noch ein »o.ä.«. Das ist sehr interessant, nur wird leider nicht weiter darauf eingegangen, welche Konzepte da angesprochen sind. Ist damit eine Szene gemeint, auf die jene Analyse auch zutreffen könnte, oder ein Racket? Aber weiter im Text - wir widmen uns Deutschland: Deutschland war »seither« - so genau scheint das für die Kampagne nicht bestimmbar zu sein - eine Nation, die »durch Kriege Millionen Menschen tötete«. Nationen bringen mit Kriegen Menschen um? Und Deutschland hat, man möchte angesichts des Zivilisationsbruchs, den die Shoa zweifelsohne darstellt, fast sagen, »nur« durch Kriege Millionen Menschen getötet. Das ist dann offenbar antifaschistisches Geschichtsbewußtsein 2007. Danach ist es eigentlich auch nicht mehr wichtig noch der historischen Faktenlage wegen zu betonen, dass Deutschland als eine Nation noch nicht allzu viele Jahrhunderte existieret, dass die Kolonisation eine wirtschaftlich eher untergeordnete und vor allem kurze Episode war, oder dass hier deutsche Außen(handels)politik auf einem überholten Stand aus den 80er Jahren heraus kritisiert wird. Das alles ist müßig, wenn die Shoa schon so weit ausgeblendet ist, dass sie nichtmal Erwähnung findet.
Da die drei Hauptstützen des Faschismus aber getrennt voneinander behandelt, die Wechselwirkungen und Potenzierungen zwischen ihnen also willentlich ausgeblendet werden, könnte es allerdings auch sein, dass die Shoa thematisch nicht zum National Deutschland und nicht zu Millionen Toten gehört, sondern zum Antisemitismus. Lesen wir also (trotzdem) weiter:
Antisemitismus als historisiertes Problem
»Den Jüdinnen und Juden wird einfach [!] unterstellt [!], dass sie die Welt beherrschen, bzw. eine besonders mächtige und gierige ‘Rasse’ darstellen würden. So wird alles Mögliche einfach durch eine jüdische Weltverschwörung erklärt. Der Absurdität [!] sind dabei keine Grenzen gesetzt. Das Ziel der Nazis, im Holocaust das Judentum [!] auszulöschen war Folge dieses Wahns.« So ist das also mit dem Antisemitismus, bei dem dann auch die Shoa auftauchen darf, seine Träger_in »unterstellt« »Jüdinnen und Juden« »einfach« die Weltherrschaft. Warum nur tut er/sie das? Wie kommt antisemitisches Bewußtsein zu stande, was sind die Denkfiguren? Alles Fragen, die für die Bekämpfung einer Sache eigentlich von grundlegender Bedeutung sind, aber hier nicht mal problematisiert werden. Zudem, dass der Antisemitismus eben nicht »wohl die Facette von […] faschistischem Gedankengut« ist, »bei der am Auffälligsten die Unfähigkeit zu Tage tritt, die Realität richtig zu analysieren und zu begreifen«, denn dem historischen Faschismus, wie beispielweise in Italien unter Mussolini, war der eliminatorische Antisemitismus nicht zueigen. Genausowenig wie dem spanischen. Das war eine historische Besonderheit des deutschen, weswegen er unter ideologiekritischen Gesichtspunkten auch eine eigene Begrifflichkeit verdient: Nationalsozialismus.
So wird sich bei der Kampagne nicht mit der Beziehung von Antisemtitismus und Nazionalsozialismus auseinandergesetzt. Zumindest nicht in einer Form, wie sie von einer emanzipatorischen Linken erwartet werden sollte. Es gilt immer noch, dass »keine Analyse des Nationalsozialismus, die nicht die Vernichtung des europäischen Judentums erklären kann,« ihm gerecht wird. (M. Postone, Antisemitismus und Nationalsozialismus).
Kein Wort davon, wie tief und aus welchen Gründen antisemitische Denk- und Erklärungsmuster in breiten Teilen der deutschen Gesellschaft unserer Epoche verankert sind, findet sich im Kehrwochentext. »Die weitverbreitete Tendenz in der deutschen Bevölkerung, die anstatt sich mit der deutschen Vergangenheit und darin auch der Shoa (Holocaust) auseinander zusetzen und daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen, lieber einen Schlusstrich ziehen will, kommt den Nazis gerade recht.« Auch sind es zunehmend nicht nur die Nazis, welche die Shoa »als bedauerliche Ereignisse neben vielen« darstellen, sondern die sogenannte Mitte der Gesellschaft rund um Guido Knopp, Maria Furtwängler und Erika Steinbach. Von der “Tendenz” allerdings, dass man in Deutschland nur den toten Juden erträgt, weswegen man die Selbstverteidigung Israels gerne mit Auschwitz verurteilt, vom sekundären Antisemitismus oder den bürgerlich-soziologischen Erkenntnissen der letzten Jahre, welche ein immer offeneres Verhältnis der Deutschen zun offenen Antisemitismus feststellen, schweigt die Analyse der Kehrwochen-Antifas, diese “Tendenz” ist ihr kein Wort wert.
In der Shoa wollten die Nazi-Deutschen auch nicht das Judentum auslöschen, sie wollten alle von ihnen als Juden bestimmte vernichten, mit ihnen »das Abstrakte«, nämlich den gesellschaftlichen Wert, den sie in der verkehrt-verkürzten Form als »raffendes Kapital« projektiv in dem einzelnen Juden personalisiert sahen. Judentum als Kategorie legt nahe, darunter das kulturelle Erbe zu verstehen. Dies trifft aber nicht die Pläne Nazi-Deutschlands; den Nazis war es egal ob sich jemand koscher ernährte, Shabbat hielt oder versucht hat, sich im Rahmen der jeweiligen Nation zu assimilieren. Einzig die »Rassenlehre« war für den Vernichtungswillen und Wahn der barbarischen haßerfüllten Vernichtungsmission entscheidend. Die dabei erfassten und kategorisierten Jüdinnen und Juden standen laut Horkheimer und Adorno dabei als »Projektionsfläche einer Paranoia, die zur Verfolgung und Vernichtung derjenigen treibt, die, in einer wert- und warenförmig und herrschaftlich durchrationalisierten Gesellschaft, zur Verfolgung von denjenigen, die noch die Freiheit repräsentieren« [DdA: 196]. Die Jüdinnen und Juden werden so nicht nur mit den unverstandenen Übeln der sozialen Ordnung identifiziert, die Versagung auferlegt. Sie verkörpern im antisemitischen Wahn die verzerrte Ahnung jenes Glücks, das die Zivilisation stets unterdrückte. Diese verzerrte Ahnung spiegelt sich denen, »die Natur krampfhaft beherrschen« und den »schmerzlichen Prozeß der Zivilisation nie ganz vollziehen konnten« [ebd.], also den ich-schwachen autoritären Charakteren, noch in der gequälten Natur ihrer Opfer aufreizend als Schein von ohnmächtigem Glück wider.
Juden werden nicht zuletzt deshalb von den Antisemit_innen verachtet, weil sie die Idee des Glücks ohne Herrschaft, das wirklich erst Glück wäre, und die Glücksversprechen der bürgerlichen Gesellschaft verkörpern, die als allgemeine Versprechen Lüge bleiben, »solange es Klassen gibt« [ebd.]. »Noch als Möglichkeit, als Idee müssen sie den Gedanken an jenes Glück immer aufs neue verdrängen, sie verleugnen ihn um so wilder, je mehr er an der Zeit ist. Wo immer er inmitten der prinzipiellen Versagung als verwirklicht erscheint, müssen sie die Unterdrückung wiederholen, die der eigenen Sehnsucht galt. (…) Das Hirngespinst von der Verschwörung lüsterner jüdischer Bankiers, die den Bolschewismus finanzieren, steht als Zeichen eingeborener Ohnmacht, das gute Leben als Zeichen von Glück. Dazu gesellt sich das Bild des Intellektuellen; er scheint zu denken, was die anderen sich nicht gönnen, und vergießt nicht den Schweiß von Mühsal und Körperkraft. Der Bankier wie der Intellektuelle, Geld und Geist, die Exponenten der Zirkulation, sind das verleugnete Wunschbild der durch Herrschaft Verstümmelten, dessen die Herrschaft sich zu ihrer eigenen Verewigung bedient.« [Ebd. S. 196f.] Schließlich werden die Rechtfertigungszwänge des »Produzenten«, der weiß, dass er nichts produziert, und die das schlechte Gewissen evozieren, in der Wut nach außen, gegen Jüdinen und Juden gerichtet. Der Haß auf die Juden ist dann auch die Abspaltung der eigenen Verachtung, die Abwehr des schlechten Gewissens, welches das bürgerliche Subjekt plagt, und das er umso mehr verdrängen muß. »Es liegt im Mechanismus der “pathischen Projektion”, daß die Gewalthaber als Menschen nur ihr eigenes Spiegelbild wahrnehmen, anstatt das Menschliche gerade als das Verschiedene zurückzuspiegeln. Der Mord ist dann der Versuch, den Wahnsinn solcher falschen Wahrnehmung durch größeren Wahnsinn immer wieder in Vernunft zu verstellen: was nicht als Mensch gesehen wurde und doch Mensch ist, wird zum Ding gemacht, damit es durch keine Regung den manischen Blick mehr widerlegen kann.« (Adorno: Minima Moralia)
Der Faschismus und seine Nutznießer
Welche Intention hinter der Broschüre zur Kampagne steckt, wird dann vor allem im letzten Abschnitt »Wem nutzt der Faschismus?« deutlich. Nirgends sonst in dieser Broschüre wird inhaltlich so rumgeeiert und -geschwätzt wie in diesem Abschnitt, der den »Faschismus« mit aller Gewalt und fernab jeder Analyse dem oben bereits zitierten Finanzkapital in die Schuhe schieben möchte. So wird aus der historischen Situation Deutschlands Anfang der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts, bruchlos auf die Situation heute in der BRD geschlossen: »Es kann nicht nur historisch eindeutig festgemacht werden wer den Faschismus stark gemacht hat und tatsächlich von ihm profitierte; damals waren es die [!] Kapitalisten [!] von Krupp, Siemens, Thyssen und andere große Unternehmen. Heute ist es ebenfalls die Kapitalistenklasse, die Rassismus und Nationalismus, in Form von “Standort-Patriotismus” und der Hetze gegen MigrantInnen die “Deutschland ausnutzen” predigt und rechte Organisationen unterstützt.«
Hierbei bleibt selbstredend unbeachtet, dass der sogenannte »Standort-Patriotismus« keine Erfindung »der Kapitalisten«, sondern der sogenannten bürgerlichen Mitte zur Regulierung eben jener »Kapitalisten« ist. Dass aber die Interessen »der Kapitalistenklasse« sich doch irgendwie unterscheidet, von jenen der 1930er Jahre, das können die Kehrwochen-Antifas dann doch nicht leugnen: »Zwar haben sie aus verschiedenen Gründen momentan in der Regel kein Interesse an einer zu starken offen faschistischen Bewegung, denn der faschistische Mob unterscheidet z.B. nicht zwischen ‘nützlichen Computer-Indern’ und ‘unnützlichen Asylbewerbern’ und ist auch nicht gerade gut für das Image des ‘Standort Deutschland’.« Es bleibt unklar, was denn »die Kapitalistenklasse« nun eigentlich will: setzt sie auf die faschistische Karte, oder hat sie doch eher kein Interesse daran? Das bleibt völlig im Dunkeln und da wird durch die Form der Analyse nichts freigelegt, sondern alles verschleiert - wie wir es ja bereits bei Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus und ihren Wechselwirkungen sehen mussten.
Weil aber diese (Nicht-)Analyse nicht, wie beim Legitimationswissenschaftler Dimitroff zu Ende gedacht wird, sondern auf halben Wege -also bei der bürgerlichen Gesellschaft- stehenbleibt, muss sie natürlich der Totalitarismustheorie verfallen. Wenngleich das den Autoren gar nicht aufzufallen scheint: »Das was den Faschismus kennzeichnet, Gleichschaltung bzw. Zerschlagung der Gewerkschaften und Unterdrückung jeglicher Arbeitskämpfe, Repression gegen oppositionelle Kräfte, Aufrüstung und Militarismus ist letztlich das, was hier schon jetzt immer deutlicher und in immer extremeren Ausmaßen von den Kapitalverbänden gefordert wird.« Und sind das nicht auch alles Charakteristika, die man der UdSSR mit Leichtigkeit vorwerfen kann? Sollten das also allen Ernstes die Elemente sein, die den Faschismus kennzeichnen, war dann die UdSSR auch ein faschistischer Staat und fordern die Kapitalverbände heute wirklich einen solchen? Oder hat sich damit die bisher angewandte Faschismusanalyse als ungenügend erwiesen? Offensichtlich ist es mit ihr eben nicht getan, gerade wenn der Totalitarismustheorie keinerlei Sympathien entgegenzubringen sind!
Eine wirkliche Faschismusanalyse um dafür ein brauchbares Begriffsarsenal zur Verfügung zu haben, steht erst ganz am Anfang. Sie bedürfte einer tatsächlichen Analyse und Kritik sowohl des historischen Faschismus, des historischen Nationalsozialismus und seiner modernen Wiedergänger, fernab von ideologischer Indoktrination, bei der der Antifaschismus nur noch dazu taugt, junge Menschen mit ideologischer Propaganda zu erreichen; wodurch die Gesellschaftskritik zur pseudorevolutionären Don Quixoterie und somit der Antifaschismus zum Campo de Criptana verkommt.
Tun, damit getan ist
Da die Theoriepraxis und damit auch die Feindbestimmung dieser Kampagne sich fern jeder Analyse bewegt, bleibt auch die Praxistheorie fragwürdig. Dies ist angesichts der immer häufiger und vorallem frecher auftretenden Nazis hier in Stuttgart und der Region ein furchtbares Desaster. So fällt einem nichts weiter ein, als gegen »rechten Lifestyle« in der aktuellen Kampagnenauflage vorzugehen. Im Blickpunkt standen vor allem der Proberaum einer Rechtsrockband und ein Versandhandel Namens »RACords«, der Verkauf von Klamotten der Marke »Thor Steinar« und ähnliche »menschenverachtende Propaganda«. Dass bei einem solchen Vorgehen nur gegen Symptome vorgegangen wird, kräftig Personenpotenzial gebunden und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen sich die nationalsozialistische Ideologie entwickelt, geflissentlich außer Acht gelassen werden, ist der Hauptgrund für dieses Kritikpapier. Solches Vorgehen verkommt zu reiner Symbolpolitik und bleibt zutiefst reformistisch, wenn etwa eine Problematik, die für »linken« Antifaschismus aus der Staatsantifa erwachsen ist, nicht mal erwähnt wird.
Die Durchschlagskraft der Kampagne kann an ihrem eigenen Anspruch gemessen werden: Wenn die Kündigung des Proberaums durch den migrantischen Vermieter in einer Pressemitteilung tatsächlich als Erfolg verkauft wird, dann kann man sich schon vorstellen, dass uns allen noch viele glorreiche Siege im Kampf gegen den Faschismus bevorstehen. Dass hierfür bis zum nächsten Polit-Event in Stuttgart diejenigen Kräfte, die »was machen« gebunden sind, ist aus der Perspektive der Dringlichkeit eines wirkungsvollen Vorgehens gegen die Nazi-Strukturen in der Region furchtbar.
Unter Umständen kann diese Kritik dazu beitragen, ohne konstruktiv zu sein, zumindest Diskussionen innerhalb der Kampagne über das, was man da eigentlich tut, anzustoßen.
Alle Zitate, sofern nicht anders gekennzeichnet aus der Broschüre »Organisiert die Antifaschistischen Kehrwochen - Die Nazis von der Strasse fegen!«