Sonntag, 3.12., 16 Uhr; Vogelsangstrasse 18/1 (Hinterhof, ganz hinten links!)

»Die Straße der Ausschweifungen führt zum Palast der Weisheit.« (William Blake)

Als Lehre und Weltanschauung trat der »Hedonismus« in der antiken Philosophie hervor und vertrat als oberstes Lebensziel das Erreichen von einem Höchstmaß an Freude, Glück und vor allem von Lust (hedone, altgr.: Lust, Freude). Auch in der Geschichte der linken Bewegungen von Arbeitermarxismus (Freudomarxismus und Sexpol) über die sogenannte »Studentenrevolte« nach 1967 und die »Spontibewegung« bis hin zur »Pop-Linken« fanden die unterschiedlichsten Spuren hedonistischer Vorstellungen immer wieder Eingang. In Wortprägungen wie »hedonistische Linke« erscheint diese Tradition als Gegenpart zur sogenannten »asketischen Linken« oder mittels freudscher Terminologie und in Bezug auf marxistische Strömungen als Widerstreit zwischen »Oral- und Analmarxismus«: »Geht es dem Analmarxisten um totale Kontrolle, so strebt der Oralmarxist geradezu nach dem Gegenteil dieser Kontrolle, dem Ich-Verlust des rauschhaften Genießens.« [Strehle, Samuel: Des einen Freud… In: jungle world 18/2006]
An diesem Negativen Nachmittag soll ausgelotet werden, ob und wieviel revolutionäres und emanzipatorisches Potential im Hedonismus steckt, oder ob er in den modernen Gesellschaften lediglich von den ideologischen und warenförmigen Glücksversprechen der bürgerlichen Gesellschaft hervorgebracht wird und ihm somit nichts Revolutionäres innewohnt, sondern er diese Verhältnisse lediglich reproduziert bzw. gar noch modernisierend vorantreibt.
Im einzelnen stellen sich z.B. folgende Fragen: Ist das Lustempfinden des Individuums schon im Keim etwas emanzipatorisches? Oder geht das individuelle Ausleben solcher Begierden in der derzeitigen Gesellschaft immer auf die Kosten von Anderen?
Ist das Streben nach Lust so etwas wie eine anthropologische Konstante, das nur unterschiedliche historische Ausformungen erfährt und in den verschiedenen Gesellschaftsformen unterschiedlich „repressiv sublimiert“ (H. Marcuse) wird? Oder wird dieses Streben aus in den verschiedenen Gesellschaftsformen je spezifisch erzeugt, ist also keine anthropologische Konstante, sondern etwas von den gesellschaftlichen Verhältnissen selbst Hervorgebrachtes?
Kann den Begierden nach Freude und Lust eine systemsprengende Kraft zugesprochen werden, weil es sich gegen bestehende gesellschaftliche Schranken richten kann? Oder treiben sie sie kapitalistische Wert- und Warenproduktion lediglich voran, weil diese Begierden selbst nur innerhalb der Warenform entstehen?

Literatur (nur zur Inspiration, nicht als Teilnahmebedingung!):

• Adorno, Theodor W.: Tough Baby. In ders.: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. GS 4, S. 50-52.
• Adorno, Theodor W.: Dieseits des Lustprinzips. In ders.: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. GS 4, S. 67-68.
• Adorno, Theodor W.: Thesen über Bedürfnis, “Soziologische Schriften I”. GS 8, S. 392ff.
• Amendt, Günter: No Drugs. No Future. Hamburg 2003
• Baruzzi, Arno: Sade. In ders. Aufklärung und Materialismus im Frankreich des 18. Jahrhunderts, München 1968, S. 133 - 153.
• Bataille, Georges: Die Aufhebung der Ökonomie. München 1995.
• Benjamin, Walter: Über Haschisch. Frankfurt 1972.
• Benjamin, Walter: Müßiggang. In ders. Das Passagen-Werk. GS Bd. V-2, S. 961-970.
• Café Critique und Basisgruppe Politikwissenschaft - Kiffen macht spießig. Eine Intervention zum Hanffeuer
• Dahmer, Helmut: Wilhelm Reichs »Sexualökonomie«. In ders.: Libido und Gesellschaft. Frankfurt 1982, S.331-265.
• Debord, Guy: Panegyrikus. Erster Band. Berlin 1997.
• Egner, Eugen: Aus dem Tagebuch eines Trinkers. Das letzte Jahr. Zürich 2002.
• Epikur: Brief an Menoikeus (Text in deutscher Übersetzung)
• Foucault, Michel: Der Gebrauch der Lüste. Sexualität und Wahrheit Bd. 2. Frankfurt 1989.
• Freud, Sigmund: Die »Kulturelle« Sexualmoral und die moderne Nervosität. Gesammelte Werke VII, Frankfurt a. M. 1999, S. 141-167.
• Freud, Sigmund: Jenseits des Lustprinzips. Gesammelte Werke XIII, Frankfurt a. M. 1999, S. 1-69.
• Heller, Agnes: Theorie der Bedürfnisse bei Marx. Hamburg 1980.
• Horkheimer, Max: Egoismus und Freiheitsbewegung. GS 4, S.89-101.
• Jerofejew, Wenedikt: Die Reise nach Petuschki. Ein Poem. München 2000.
• Krahl, Hans-Jürgen: Ontologie und Eros - Zur spekulativen Deduktion der Homosexualität. Konstitution und Klassenkampf. Frankfurt a. M. 1971, S.115ff. (Weblink zum Volltext)
• Textsammlung der jungen linke zu Drogen und Drogenpolitik.
  Dabei insbesondere “Kiffen macht spießig” und “Jedes Kind eine Zeitbombe”
• Marcus, Greil: Lipstick Traces. Von Dada bis Punk. Eine geheime Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts. (Org. 1989) Reinbek bei Hamburg 1996.
• Marcuse, Herbert: Triebstruktur und Gesellschaft. Frankfurt a. M. 1995.
• Marcuse, Herbert: Zur Kritik des Hedonismus. In: Zeitschrift für Sozialforschung 7, Jg. 1938, H1/2, S. 55-89.
• Marx, Karl: Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie. In: MEW Bd. 40 / Ergänzungsband Teil 1, Berlin 1969.
• Marx, Karl u. Engels, Friedrich: Die Deutsche Ideologie. In: MEW Bd. 3, Berlin 1978.
• Mension, Jean-Michel: Wir haben unsere unfertigen Abenteuer gelebt. Eine Jugend im Paris der fünfziger Jahre. Berlin 2002.
• Platon: Das Trinkgelage oder über den Eros. Frankfurt a. M. 1985.
• Quadfasel, Lars - Happy Birthday, Heroin!
• Quadfasel, Lars - Opium für das Volk. Die Linke, die Droge und der Dealer
• Rabelais, François: Gargantua und Pantagruel. Frankfurt a. M. 2003.
• Schreuf, Kristof - Anders als alle. Wer arbeitet, nimmt kein LSD
• Schürmann, Volker: Muße. Bibliothek dialektischer Grundbegriffe. Bielefeld 2003
• Strehle, Samuel: Des einen Freud… In: jungle world 18/2006 (Weblink zum Volltext)
• Sundermeier, Jörg (Hg.): Das Buch vom Trinken. Berlin 2005
• Vaneigem, Raoul: An die Lebenden! Eine Streitschrift gegen die Welt der Ökonomie. (Orig. 1990) Hamburg 1997. (Weblink zum Volltext)
• Vaneigem, Raoul: Das Buch der Lüste. (Orig. 1974) Hamburg 1984. (Weblink zum Volltext)
• Vaneigem, Raoul: Handbuch der Lebenskunst für die jungen Generationen. (Orig. 1967) Hamburg 1980. (Weblink zum Volltext)
• Zizek, Slavoj - Die Unfähigkeit zu lieben
• Zimmermann, Bernhard (Hg.): Epikur - Philosophie des Glücks. München 2006.

Lexikaartikel:

• Haug, W. F. u. Keller, F.: Hedonismus. In: Haug, Wolfgang Fritz (Hg.): Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus, Bd. 5, Argument Verlag Berlin 1999, Sp. 1224-1232.
• Kruse, Otto: Lust / Unlust. In: Sandkühler, Hans-Jörg (Hg.): Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften, Bd. 3, Felix Meiner Verlag Hamburg 1990, S. 106-110.
• Ruhnau, J.: Hedonismus. In: Ritter, J. u. Gründer, K. (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Basel 1974, Sp. 1023-1026.